Von Freude und Frust im Alltag eines Kindes – der Blick einer Ergotherapeutin auf ihr Baby

Baby greift nach Blume
Babyhand

 

Mein Baby ist momentan fast 11 Monate alt und schwerstens auf Entdeckungstour durch dieses Abenteuer namens Leben. Und die Welt reißt den Kleinen einerseits zu Begeisterungsstürmen hin, andererseits ist sie auch ein ewiger Quell von Frustration: ständig sind da Sachen, die man nicht haben darf. Dinge, die man tun will, aber noch nicht kann. Spannende Objekte, die man grade noch nicht erreicht. Türen, die aufgehen, sich aber gemeinerweise wieder schließen, bevor man es geschafft hat hindurch zu schauen. Spannende Geräusche hören plötzlich wieder auf. Irgendwas rollt weg. Etwas anderes lässt sich nicht verschieben. Das Sofa ist zu hoch um hinauf zu klettern. Das Steinchen muss man wieder ausspucken – dabei hat man sich so bemüht, es zu erwischen. Alles ist zu weit weg, zu schwierig und so verdammt wenig beeinflussbar. Keiner versteht was man sagen will. Und überhaupt. Es ist einfach ständig alles zum Plärren.

Aber wie groß ist der Stolz im Blick, wenn doch ein Ding der Begierde ergattert wurde und triumphierend damit gewachelt wird.

Bei Babys haben wir meist noch großes Verständnis dafür, dass die kleinen Dinge des Alltags sehr frustrierend sein können. Bei älteren Kindern setzen wir aber schon mehr Frustrationstoleranz voraus – die Gleichaltrigen können das ja auch! Oder nicht?

Kinder in der Ergotherapie geht es in Wirklichkeit oft gleich wie meinem Baby. Sie wollen, können aber nicht. Die Finger sind zu ungeschickt, die eigenen Füße im Weg, im Gehirn ist zuviel los, sie können sich häufig schwer ausdrücken und es prasseln einfach zu viele Reize und Anforderungen auf sie ein. Und wir Erwachsenen werden dann leicht ungeduldig. Mach schneller. Stell dich nicht so an. Ist doch ganz einfach. Trödel nicht.

Kann man es den Kindern dann verdenken, dass sie irgendwann nicht mehr nur nicht können, sondern auch gar nicht mehr wollen?

Daran erinnert mich mein Baby in letzter Zeit. Mit dem Unterschied, dass mein Baby deutlich mehr Erfolgs- als Misserfolgserlebnisse hat und daher motiviert ist, dranzubleiben – was bei vielen Kindern in der Ergotherapie aber nicht der Fall ist. Meiner Erfahrung nach trödeln die wenigsten Kinder um uns zu ärgern, verweigern um uns zu provozieren, oder bocken um uns den letzten Nerv zu rauben. Sondern sie sind schlicht und einfach überfordert.

Daher geht es bei vielen Kindern in der Ergotherapie anfangs, bevor man sich überhaupt den therapeutisch-funktionellen Themen widmen kann, um ganz grundlegende Dinge: es zumindest einmal versuchen. Dabei bleiben. Es wieder versuchen. Sich selbst als wirksam erleben. Etwas erreichen können. Zeit und Raum haben, um sich auszuprobieren. Einfach wieder Spaß am Tun haben – unabhängig vom Ergebnis. Sich mutig und zuversichtlich der Herausforderung stellen.

Ist das einmal geschafft, kommt vieles in Wirklichkeit wieder von allein. Denn jedes Kind möchte sich von Natur aus weiterentwickeln und dazulernen. Und wir sind dazu da, sie dabei zu begleiten und so viel zu helfen wie nötig – aber so wenig wie möglich.

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